FESTIVALREPORT: Il Cinema Ritrovato – Das italienische Filmfestival für den klassischen Film in Bologna – Tag 2
Mein bisheriger Festival-Favorit ist keine der zahlreichen Raritäten (davon gibt es aber, soviel sei verraten, zahllose), sondern ein Film eines allseits bekannten Filmemachers. Bunny Lake ist verschwunden (1965 – Bunny Lake Is Missing) von Otto Preminger ist ein gnadenloser, britischer Mystery-Thriller, der mich mit seiner klugen Inszenierung wiederholt an der Nase herumführte. Das geht so weit, dass man ständig hinterfragen muss, welcher der Figuren in der Geschichte man eigentlich vertrauen kann. Ein Film, den man sich zugleich noch einmal ansehen will, um zu überprüfen, ob es schon zu Beginn versteckte Hinweise auf den Täter gibt. Einziger Wermutstropfen der Vorführung war die digitale Kopie, die zwar ganz ordentlich aussah, aber doch die Frage aufwirft, weshalb überhaupt auf solch einem Festival digital projiziert wird. Zumal es mir so vorkommt, dass viele Leute das Festival gerade deswegen besuchen, weil es hier die Gelegenheit gibt, Filme in analoger Form zu sehen. Jahr für Jahr werden hier aber immer weniger analoge Kopien gezeigt (die Gründe dafür sind mannigfaltig), sodass das Festival auf lange Sicht auf die Verfehlung seines Daseinszwecks zusteuert.
Seltener als Bunny Lake ist verschwunden ist Jacques Tourneurs Skrupellos (1956 – Great Day in the Morning) zu sehen, der im Rahmen der Technicolor-Schau in einer wunderbar abgenutzten alten Vorführkopie gezeigt wurde, die vermutlich noch aus der Zeit der Erstaufführung stammt. Tourneur, der heute zumeist mit seinen gruseligen, meisterhaft belichteten Schwarz/Weiß-Filmen aus den 40er Jahren in Verbindung gebracht wird, zeigt hier, dass er auch mit den Weiten des amerikanischen Westens und Farbfilm umzugehen weiß. Dass Kopien dieser Zeit aber auch ganz anders aussehen können, zeigt die unrestaurierte Fassung von Kennwort „Schweres Wasser“ (1965 – The Heroes of Telemark) aus den Kellern des British Film Instituts, die mit ziemlicher Sicherheit nie im regulären Kinoverleih verwendet wurde. Um die Qualität dieser originalen Technicolor-Kopie zu beschreiben, fehlen mir schlicht die Superlative.
Endlich habe ich es auch in einen Film der Bergman-Reihe geschafft. Die vier Gesellen (1938), der einzige deutsche Film der Schauspielerin, aber nicht nur deshalb interessant. Bergman mimt darin eine von vier Absolventinnen einer Grafiker-Schule, die von der männerdominierten Arbeitswelt ihrer Zeit nur belächelt werden, woraufhin sie aus der Not eine Tugend machen und ihre eigene Firma gründen. Nach einiger Zeit stellt sich dann tatsächlich der Erfolg ein, zerbricht aber sogleich wieder, denn der Film hält seinen emanzipatorischen Verve nicht durch und zumindest zwei der vier Gesellen enden in den starken Armen eines Mannes, der für sie sorgt – anders wäre diese Geschichte in Nazideutschland wohl nicht denkbar und kommerziell verwertbar gewesen. Der Film imponiert jedoch nicht nur als Zeugnis vergangener Tage, sondern erinnert in seiner Thematik an so manche heutige gesellschaftliche Brennpunkte und das nicht nur in Bezug auf die soziale Stellung der Frauen, sondern auch auf das Prekariat in der Kreativindustrie und eine nicht allzu rosige gesamtwirtschaftliche Situation, die behutsam und trotz Kontrolle durch die NS-Propagandamaschinerie in den Stoff eingewoben werden. Die Vier Gesellen reiht sich in die lange Reihe jener Filme ein, die auch abseits filmästhetischer und -historischer Fragestellungen zeigen, dass das Eintauchen in die Filmgeschichte ein lohnenswertes Unterfangen ist.
Rainer Kienböck
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