FESTIVALREPORT: Il Cinema Ritrovato – Das italienische Filmfestival für den klassischen Film in Bologna – Tag 1
Die Cineteca di Bologna zählt zu den weltweit führenden Institutionen in Sachen Filmrestauration. Neue Kopien alter Filme, die durch die Hände der Italiener gehen, sind in aller Welt in Kinematheken und auf Festivals zu sehen. Wer sich eine Weltreise sparen und einen Überblick von der Arbeit der Cineteca bekommen will, der kann jeden Sommer für eine Woche nach Bologna reisen. Ende Juni findet dort traditionell das Filmfestival Il Cinema Ritrovato statt. Anders als die meisten großen und kleinen Festivals von Cannes bis Lübeck, die jährlich mit den neuesten Werken des Weltkinos locken, konzentriert sich das Il Cinema Ritrovato auf die Vergangenheit. Zwar ist es heute üblich, dass auch aktuelle Festivals Retrospektiven organisieren, aber unter jenen, die sich auf die Filmgeschichte konzentrieren, ist das Il Cinema Ritrovato Krösus. Wenig andere Orte bieten die Gelegenheit, so geballt in die Filmgeschichte einzutauchen, und so tummeln sich in der Universitätsstadt während dieser Tage zahllose Cinephile, Archivare und Filmwissenschaftler.
Dieses Mekka der Filmgeschichte war dementsprechend ein Fixpunkt im 35 MILLIMETER-Veranstaltungskalender. In den kommenden Tagen werden wir unseren Lesern spannende Einblicke in das Festivalleben geben. Wie schon in Cannes widmete sich auch in Bologna ein Schwerpunkt dem hundertsten Geburtstag von Ingrid Bergman. Die Berichte darüber dienen als Ergänzung zu unserer soeben erschienenen Ausgabe # 09 mit der Titelgeschichte über die Schwedin.
Zunächst fand ich mich jedoch nicht in Schweden wieder, sondern in Frankreich. Den ersten Abend nach meiner Ankunft wollte ich am Piazza Maggiore verbringen, dem Hauptplatz, der den ganzen Sommer über zum Freiluftkino umfunktioniert wird und Teil des Festivalprogramms ist. Dort wurde an diesem Abend FAHRSTUHL ZUM SCHAFOTT (Ascenseur pour l’échafaud – 1958) gegeben. Nach zwanzig Minuten fiel das Screening allerdings buchstäblich ins Wasser – ein Gewitter zog über den Platz, dem einzig die Plastikbestuhlung, ein paar junge Tänzer und der Schein des Projektors standhielten. Folglich begann das Festival für mich erst am nächsten Tag so richtig, aber schon dieser entschädigte ausreichend für die Enttäuschung des vergangenen Abends.
Die Stärken des Programms liegen in der Vielfalt der sorgsam kuratierten Retrospektiven, die nicht als Gesamtschauen konzipiert sind, sondern punktuelle Einblicke bieten. Ein geballtes Festivalprogramm lässt ohnehin nie zu, dass man alle Filme so einer Schau sehen kann, aber dank dieser Programmpolitik kann man Überblick über mehrere Themenfelder erlangen.
Das größte Programm ist dem US-Regisseur Leo McCarey gewidmet, der vor allem durch seine Arbeit mit Slapstick-Komikern berühmt geworden ist. Das Festival bietet die Gelegenheit, nicht nur dessen Hauptwerke wie zum Beispiel DIE MARX BROTHERS IM KRIEG (Duck Soup – 1933) zu sehen, sondern auch die Kurzfilme, die er noch in der Stummfilmzeit für den Produzenten Hal Roach realisierte. In dieser Zeit arbeitete McCarey unter anderem mit Harold Lloyd, Laurel und Hardy, Charley Chase und Max Davidson zusammen. Trotz der Popularität dieser Darsteller waren einige dieser Filme lange Zeit nicht mehr in 35-Millimeter-Fassungen zu sehen – sie sind aber in den vergangenen Jahren aufwändig restauriert worden.
Wie bereits auf der diesjährigen Berlinale gibt es auch in Bologna ein Programm zum hundertsten Geburtstag von Technicolor (siehe dazu auch unsere Titelgeschichte in Ausgabe #08). Filmfarben scheinen insgesamt im Moment hoch im Kurs zu stehen, denn parallel zu dieser Schau werden in einem anderen Programm mehrere frühe japanische Farbfilme gezeigt. Dort wurde erst in den Fünfzigerjahren in größerem Rahmen mit Farbprozessen experimentiert. Einer der ersten dieser Filme, DAS HÖLLENTOR (Jigokumon – 1953) von Teinosuke Kinugasa wurde sogleich mit einem Ehrenoscar und einem Preis beim Filmfestival in Cannes bedacht. Tatsächlich steht dieser Film in Sachen visueller Brillanz den amerikanischen Klassikern in nichts nach. Mehr Entdeckungen dieser Art folgen hoffentlich in den kommenden Tagen.
Rainer Kienböck
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