VICTOR SJÖSTRÖM – Film can be art – Interview mit dem Autor Jens Dehn

In den nächsten Tagen erscheint #1 der neuen Buchreihe des 35 Millimeter-Verlags. Neben dem Retro-Film-Magazin – welches bereits im vierten Jahrgang läuft – ein weiteres Printprodukt der Herausgeber. Anlässlich dieser Veröffentlichung, mit dem Thema VICTOR SJÖSTRÖM, führte unser Kollege Marco Koch vom Filmforum Bremen ein Interview mit dem Autor Jens Dehn.

 

 VS BuchMarco Koch: „Film can be art“ ist der erste Beitrag der neuen 35 Millimeter-Buchreihe. Mit Victor Sjöström behandelst Du einen der ersten bedeutenden, innovativen Regisseure der Stummfilmzeit. Wie kam es zu dem Buch?

Jens Dehn: Sjöström war immer einer meiner Favoriten aus der Frühzeit des Films. Leider sind viele seiner Filme außerhalb Schwedens ein wenig in Vergessenheit geraten, da sie weder im Kino noch im Fernsehen gezeigt werden und auch auf DVD kaum erhältlich sind. Ich hatte schon seit längerem den Gedanken, über Sjöström zu schreiben, nicht zuletzt, da es bislang kein anderes deutschsprachiges Buch gibt, das sich mit ihm und seinen Filmen beschäftigt. Ich war mir aber bewusst, dass es in Deutschland keinen Verlag gibt, der ein Buch über einen schwedischen Stummfilmregisseur herausbringen würde. Der deutsche Markt für Filmfachbücher ist ja generell sehr überschaubar. Und die Zeit vor dem Tonfilm wird nur ganz selten behandelt. Sjöström ist so gesehen die Nische einer Nische.

Dann habe ich die Zeitschrift 35 Millimeter kennen gelernt und fand damals schon, dass dies das passende Zuhause für ein Sjöström-Buch sein könnte. Wenn nicht hier, wo dann? Bei 35 Millimeter passt das Umfeld: Wenn es so etwas wie eine Zielgruppe gibt, dann wird sie durch das 35 Millimeter-Magazin direkt erreicht. Das hat es für mich reizvoll gemacht – zwischen den Lesern der Zeitschrift und denen, die sich für den Stummfilm interessieren, gibt es eine Schnittmenge. Daher fühlte ich mich unter dem Label 35 Millimeter bestens aufgehoben. Als Jörg Mathieu, der Herausgeber von 35 Millimeter, 2015 dann ankündigte, auch eine Buchreihe starten zu wollen, habe ich ihn kontaktiert und gefragt, ob er sich Sjöström in dieser Reihe vorstellen kann. Glücklicherweise ist er ebenfalls ein großer Stummfilmfreund und Sjöström zählt auch zu seinen Lieblingen. Dadurch kamen wir eigentlich sehr schnell zusammen und vereinbarten, dass Sjöström der erste Band der neuen Reihe werden soll.

MK: Das Buch ist die erste deutschsprachige Monografie über Sjöström. Es hat mich sehr überrascht, dass es vorher noch keine Arbeit zu ihm gegeben hat.

JD: Mich ehrlich gesagt auch. Natürlich gibt es deutschsprachige Literatur, in der Sjöström vorkommt: Gösta Werner hat in „Geschichte des schwedischen Films“ ihm und Mauritz Stiller ein gemeinsames Kapitel gewidmet, Ulrich Gregor und Enno Patalas haben Sjöström in ihrer „Geschichte des Films“ auf eineinhalb Seiten erwähnt. Es sind eben immer nur einzelne Abschnitte, die schnelle Vorstellungen beinhalten, aber genauso schnell zum nächsten Thema weiterziehen. In der englischsprachigen Literatur ist das übrigens auch nicht viel anders. Dass „Film can be art“ nun die erst Sjöström-Monografie im deutschsprachigen Raum sein würde, hat dann aber natürlich auch den Aufbau des Buchs beeinflusst.

MK: Inwiefern?

JD: Der erste Gedanke war eigentlich, filmanalytisch vorzugehen. Zu zeigen, wie Sjöström seinen Stil entwickelt hat, welches seine Vorbilder und Einflüsse waren bzw. ob es solche Einflüsse überhaupt gab. Eine Analyse von Sjöströms Filmen hätte sich ja am Material abgearbeitet, wäre also zumeist eng an den Filmen selbst geblieben. Dann habe ich mit Jörg darüber gesprochen, dass es bislang noch nichts gibt, was einen Gesamtüberblick anbietet und Sjöström etwas ausführlicher vorstellt. Wir waren uns schnell einig, dass wir diese Lücke mit dem Buch füllen sollten.

Eine Monografie bedeutet aber, von den Filmen selbst etwas wegzugehen, umfassender zu werden, äußere Einflüsse mit einzubeziehen, Produktionsbedingungen, aber auch biografische Bezüge aufzugreifen. Es gibt einige Querverbindungen zu Sjöströms eigenem Leben, die sich in seinen Filmen wieder finden, das alles wird nun viel stärker thematisiert. Zudem hatte ich schon den Anspruch, eine gewisse Vollständigkeit zu geben. Also auch jene Filme einzubeziehen, die als verloren gelten – was bei Sjöström auf einen Großteil seiner frühen Filme zutrifft. Natürlich ist es nicht möglich, Filme eingehend zu analysieren, die es nicht mehr gibt und die man nicht mehr sehen kann, aber anhand der Inhalte lassen sich zumindest thematische Übereinstimmungen und Vorlieben ableiten. Ich habe anfangs aber unterschätzt, wie zeitaufwendig es sein würde, diese Inhalte zusammenzutragen.

MK: Wie bist Du da vorgegangen – normalerweise sieht man sich einen Film an und kann das Gesehene dann aus seinem eigenen Empfinden heraus wiedergeben. Aber bei einem verschollenen Film hast Du kein Material, das Du sichten kannst?

JD: Ich konnte mich in diesen Fällen fast ausschließlich nur auf schwedische Primärquellen beziehen, also zeitgenössische Zeitungsberichte, Werbematerialien und ähnliches. Das schwedische Filminstitut hat mit seiner Enzyklopädie Svenska filmografi vieles zusammengetragen und vereint, auf das ich da zurückgreifen konnte. Aber ich musste das meiste erst einmal aus dem Schwedischen übersetzen und oft natürlich gegenprüfen, denn es kommt vor, dass sich Quellen und Kritiken in den Inhaltsbeschreibungen auch mal widersprechen und voneinander abweichen.

MK: Und wie bist Du mit dem Ergebnis zufrieden – deckt „Film can be art“ am Ende den „ganzen Sjöström“ ab?

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Ingmar Bergman und Victor Sjöström

JD: Das möchte ich schon sagen, ja. Biografische Abschnitte beziehen Sjöströms persönlichen Hintergrund mit ein, zudem behandelt ein Kapitel die damaligen Produktionsbedingungen und die Geschichte von Svenska Bio, die Mitte der 1910er Jahre die größte Produktionsgesellschaft Europas war neben Pathé Frères in Frankreich. Aber im Zentrum stehen doch immer die Filme selbst: Es gibt analytische Kapitel zu seinen schwedischen Filmen, ein Kapitel über seine Zeit in Amerika und auch eines, das sich mit Sjöström als Schauspieler beschäftigt. Schließlich war das für ihn mindestens ebenso wichtig und abgesehen von seinem Fuhrmann des Todes ist ja auch Wilde Erdbeeren von Ingmar Bergman der Film, für den Sjöström heute am bekanntesten ist. Weil seine darstellerische Leistung darin so beeindruckt. Zudem gibt es eine große kommentierte Filmografie, die alle Filme einschließt, die er inszeniert hat.

MK: Du sagst es, Sjöströms bekanntester Film ist Der Fuhrmann des Todes. Natürlich schreibst Du auch über diesen Film, aber mir ist aufgefallen, dass Du ihm – gemessen an seiner Bedeutung – nicht außerordentlich viel Platz einräumst.

JD: Es ist ja oft so, dass Regisseure am Ende auf einen oder zwei Filme reduziert werden: Wenn wir von Murnau reden, ist es meistens Nosferatu, bei Eisenstein Potemkin. Griffith wird auf Birth of a Nation und Intolerance reduziert, obwohl er insgesamt über 500 Filme gemacht hat. Bei Pabst sind vor allem die Sachen mit Louise Brooks bekannt, bei Abel Gance Napoleon und bei Sjöström ist es eben Der Fuhrmann des Todes. Davon abgesehen hat er aber ein gutes Dutzend weiterer Filme gemacht, in denen es vieles zu entdecken gibt, die aber in Deutschland mittlerweile niemand mehr kennt. Da wollte ich mit meiner Gewichtung schon ein wenig gegensteuern.

Das Bemerkenswerte ist ja, dass dem schwedischen Stummfilm immer attestiert wird, er habe als erster die Natur nicht mehr nur als bloße Kulisse, sondern als integralen Bestandteil der Handlung genutzt. Das hat sich in der Filmgeschichtsschreibung, von Toeplitz bis in die heutige Zeit, fast schon schlagwortartig etabliert. Und Sjöström war dabei die wesentliche, treibende Kraft. Aber gerade die beiden Filme, mit denen er diesen naturalistischen Stil entwickelt hat, Terje Vigen und Berg-Ejvind und sein Weib, sind aus sämtlichen Kanons und dem filmischen Bewusstsein beinahe komplett verschwunden. Stattdessen wird Sjöström mit dem Fuhrmann des Todes assoziiert, der im Grunde ein Schritt zurück war, relativ statisch gefilmt und ausschließlich im Atelier entstanden. Natürlich beeindruckt der Film nach wie vor aufgrund seiner Erzählweise und der Tricktechnik, die für das Jahr 1921 wirklich erstaunlich ist. Aber insgesamt finde ich es schon paradox, dass Sjöström meistens nur auf diesen Film reduziert wird.

MK: „Film can be art“ wird über den Internet-Shop von 35 Millimeter zu kaufen sein, allerdings nicht über den normalen Buchhandel. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

JD: Jörg und ich lagen bei der Einschätzung des Projektes von Beginn an sehr nah beieinander. Uns war beiden klar, dass wir mit diesem Buch keine Verkaufsrekorde brechen werden. Dafür ist das Thema zu speziell. Wir haben uns daher bewusst für eine kleine Auflage von 250 Exemplaren entschieden. Das hält Jörgs verlegerische Risiken in Grenzen, verleiht dem Ganzen auf der anderen Seite aber auch etwas Exklusives. Dass das Buch über den regulären Buchhandel nicht zu erwerben ist, ist auf der einen Seite natürlich schade, aber wir denken, dass es heutzutage kein wirklicher Nachteil mehr ist, ein Buch lediglich online zu vertreiben.

MK: Wer darf sich mit dem Buch als potenzieller Leser angesprochen fühlen?

JD: Letztlich jeder, der sich für die Filme Sjöströms oder den frühen Film allgemein begeistert. Es ist daher gleichermaßen für Filmliebhaber interessant wie zum Beispiel auch für Studenten der Filmwissenschaft. Wobei ich diesen wissenschaftlichen Stil nicht mag, bei dem die Autoren mit Fremdwörtern und Fachbegriffen um sich werfen, nur um elitär zu wirken. Das hat mich schon als Student immer abgestoßen, daher war mir wichtig, leicht verständlich zu schreiben.

Es ist nun zwar schon ein paar Jahre her, dass ich selbst Filmwissenschaft studiert habe, aber schon zu meiner Zeit war es auffällig, dass das Interesse für Filmgeschichte immer stärker nachließ. Vor allem was die Zeit vor den 1930ern angeht, war bei vielen kaum mehr so etwas wie Wissensdurst vorhanden. Die Folge ist dann, dass auch aktuelle Filme nicht mehr richtig bewertet, eingeordnet und schon gar nicht in einen Kontext gesetzt werden können. Wenn es uns – 35 Millimeter und mir – also gelingt, die Liebhaber glücklich zu machen und obendrein noch den ein oder anderen Neuling zu Sjöström zu bekehren, würde mich das schon sehr glücklich machen.

MK: Vielen Dank für deine Zeit Jens, wir sind gespannt auf das Ergebnis. Wer jetzt neugierig geworden ist, und das Buch über VICTOR SJÖSTRÖM bestellen möchte, kann dies über folgenden Link tun:
http://35mm-retrofilmmagazin.de/produkt/35-millimeter-buchreihe-1-victor-sjoestroem/

 

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