35 Millimeter vor Ort – Perlen aus dem Norden Tag 1
Am 04.03. ging auch für 35 Millimeter das PERLEN AUS DEM NORDEN-Festival so richtig los.
Unser Redakteur Simon Kyprianou war für euch vor Ort – hier sein Bericht zum gestrigen Film DIE RECHNUNG GING NICHT AUF.
DIE RECHNUNG GING NICHT AUF (The Killing – 1956) ist ein Film über Hoffnungen, Ängste und Sorgen. Ein Film über verzweifelte Menschen, die ihren Träumen hinterherjagen, die mit dem fatalistischen Mut der Verzweiflung das Schicksal herausfordern. Am Ende findet Kubrick dann ein kraftstrotzendes Bild, wenn all die Träume und Hoffnungen vom Wind davon geweht werden und in der dunklen Nacht verschwinden. DIE RECHNUNG GING NICHT AUF ist dabei aber auch ein empathischer, urteilsfreier Blick auf ein Mosaik der Menschlichkeit. Kubrick gibt uns fragmentarische Einblicke in die verschiedenen Leben der Protagonisten, in ihre Probleme und Sorgen. Zweifellos Kubricks menschlichster Film – vielleicht zusammen mit EYES WIDE SHUT (1999) –, dessen sonstiges Werk ja von einer erdrückenden Gefühlskälte durchzogen ist. Die Geschichte ist sehr simpel, ein paar verzweifelte Männer (u.a. Sterling Holden, Elisha Cook jr.) mit einer Ausnahme keineswegs Berufsverbrecher, sondern Menschen aus allen möglichen Schichten, wollen eine Pferderennbahn überfallen. Was in DIE RECHNUNG GING NICHT AUF bereits hervorsticht, ist Kubricks präzise Art der Narration und Inszenierung, die in Kubrick-Texten oft mit dem nerv tötenden Schachbrett-Vergleich beschrieben wird. Keineswegs geht der Regisseur hier mit seinen Figuren so unemotional und distanziert um wie mit Schachfiguren, eher das Gegenteil trifft zu. Betroffen und beinahe schon liebevoll blickt er auf ihre Verlorenheit.
Dennoch ist es ein präziser Film. Hier entfaltet sich diese Präzision durch die Voice-Over-Erzählung, die immer wieder die genaue Uhrzeit angibt, und durch die klug verschachtelte und doch äußerst dynamische Erzählung. DIE RECHNUNG GING NICHT AUF ist natürlich auch ein sehr einflussreicher Film, nicht nur für Quentin Tarantino, sondern wohl auch für Jean-Pierre Melvilles ähnlich gelagerten VIER IM ROTEN KREIS (Le cercle rouge – 1970).
In Saarbrücken steht Kubrick Kopf
Wie von den ersten beiden Festival-Tagen gewohnt, füllte sich auch am Mittwoch Abend der Kinosaal schnell, kein Wunder, ist Stanley Kubricks DIE RECHNUNG GING NICHT AUF (The Killing – 1956) schließlich eines der Highlights des Festivals. Vor dem Film lief wie üblich ein liebevoll und thematisch passend zusammengestelltes Vorprogramm, ganz im Zeichen des Sports, angelehnt an die Pferderenn-Thematik in Kubricks Film. Es gab einen sportlichen Jahres-Zusammenschnitt einer alten Wochenschau zu entdecken und außergewöhnliche Filmtrailer, unter anderem den wundervollen Trailer zu Otto Premingers ANATOMIE EINES MORDES (Anatomy of a Murder – 1959).
Diese Schmankerl ließen den Appetit auf den eifrig erwarteten Hauptfilm nur wachsen, der nach dem obligatorischen einleitenden Vortrag von Nils Daniel Peiler dann auch anlief. Nach den ersten 15 Minuten allerdings standen Kubricks Bilder plötzlich Kopf, und es war leider kein avantgardistischer Schelmenstreich des jungen Kubrick, sondern wie sich herausstellte eine fehlerhafte Rolle. Nach intensiven Bemühungen die Vorstellung noch zu retten musste man leider aufgeben, niemand kam in den Genuss von Kubrick meisterlicher Chronik des Scheiterns. Eine Enttäuschung, eine die sicher vermeidbar gewesen wäre, da hilft auch der gute Wille der Veranstalter nichts, die aber vielmals um Verzeihung baten und Freikarten zur Entschädigung verteilten.
Man kann nur hoffen, dass die restlichen Festivaltage wieder so vergnüglich und wunderbar sein werden, wie die ersten Beiden.
Simon Kyprianou
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