Die Farben im Blut von Amor

William Shakespeare hat in seinem Sommernachtstraum darauf verwiesen, dass der Liebesgott Amor blind dargestellt werden würde:

“Love looks not with the eyes but with the mind;
And therefore is wing’d Cupid painted blind.”

Für unseren Videoessay zum Thema 100 Jahre Technicolor wäre diese Blindheit natürlich fatal, denn schließlich gehen der Reiz, die Erotik und die Faszination der Farben im Film von einer überschäumenden Kraft des Sehens aus. Mit unserem Titel „Die Farben im Blut von Amor“ verweisen wir bereits auf das, was den Protagonisten vieler Melodramen und anderer Technicolor-Filme droht. Sie schießen den Pfeil, aber verletzten sich selbst und ähnlich geht es den Zusehern, die sich im Rot von Powell und Pressburger verlieren oder im orange-goldenen Indien bei Renoir, um von dieser Faszination, die einen dazu verleitet die Augen ganz weit zu öffnen, um jeden Farbton mit den eigenen Pupillen aufzusaugen und die sich plötzlich in einen tiefen Schmerz verwandeln kann, nämlich immer dann, wenn diese in den Farben gespiegelte Liebe oder Hoffnung zerbricht, wenn die in Farben gehüllten Figuren sterben oder schlicht, wenn der Film endet.

Dabei wirkt die Farbe zunächst wie ein Signal. Objekte, Augen und Kleider werden betont und immerzu wird in Schuss-Gegenschuss Passagen von exakt dieser Faszination erzählt. Man könnte sagen, dass die Farben lediglich als narratives oder betonendes Element eingesetzt werden, aber mit großer Sicherheit sind sie insbesondere im Technicolor-Kino eine eigenständige Faszination, die einen Materialität und Sinnlichkeit der Bilder bewusst macht. Wenn klar wird, dass sich in den Augen der Figuren und den Bewegungen des Begehrens die gleichen Farben treffen, dann kann der Rausch beginnen. Dann tanzt alles und das Feuerwerk der Farben pulsiert und erhöht mit jeder emotionalen Regung die Fallhöhe des Dramas, das sich letztlich auch in Farben wie rot eingefärbten Himmeln, Blut oder einem gelben Schleier offenbart.

Jedoch wollen wir uns immerzu bewusst sein, dass diese Farben Teil einer Konstruktion sind, die ein bestimmtes Begehren im Zuseher künstlich und ökonomisch rentabel auf die Leinwand bringt. Und in diesem Sinn ist die Liebe in Amors Pfeil dann eben doch eine Sache des Kopfes. Es liegt nur am Betrachter, ob der Weg vom Kopf in sein Herz und seine Fantasie geht oder in seinen Zweifel.

Patrick Holzapfel

35 Millimeter-Titelstory in Ausgabe #8 – 100 Jahre Technicolor

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