NACHRUF: Ruth Leuwerik (1924-2016)
„In ihren Filmrollen verstand sie es, gegen alte Stereotypen ein modernes Selbstverständnis zu verkörpern –
anders als es das weit verbreitete Vorurteil über ‚Opas Kino‘ der Ära Adenauer will.“
Das Filmmuseum Berlin 2004 anlässlich ihrer Ausstellung zum 80. Geburtstag von Ruth Leuwerik
Gestern verstarb die Schauspielerin Ruth Leuwerik im Alter von 91 Jahren in München. Sie wurde 1924 in Essen geboren und wurde erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem Star in der damals noch teilweise in Trümmer liegenden deutschen Filmlandschaft.
Zuvor verdiente sie sich ihr Geld als Stenotypistin und nahm privat Schauspielunterricht. In der Folge hatte sie ihre ersten Engagements am Westfälischen Landestheater Paderborn und den Städtischen Bühnen Münster. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war sie anschließend am Theater Bremen, am Theater Lübeck und von 1949 bis 1953 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Eurydike war ihre letzte Rolle auf der Bühne 1955 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Der Film hatte sie entdeckt und sie den Film.
Ihr Debüt gab sie 1950 in dem Film DREIZEHN UNTER EINEM HUT, bei dem sie für eine kranke Kollegin eingesprungen war. Sie selbst sah den Film im Nachhinein als ein „ziemlich albernes Lustspiel“, wo sie die einzige „ernste“ Darstellerin unter zwölf Komikern gewesen sei. Doch dieser „dünnblütige Schwank“ sollte nur den Startschuss ihrer Filmkarriere bedeuten.
Einer großen Schauspielerin durfte sie 1951 ihre Stimme leihen, als sie Maureen O’Hara in dem Abenteuerfilm DIE TAVERNE VON JAMAIKA (Riff-Piraten) (Jamaica Inn – 1939) synchronisierte. Darauf folgte die wahrscheinlich wichtigste Begegnung ihrer Karriere: Ein Bekannter vermittelte sie an den Schauspieler Dieter Borsche. Dieser hatte seinen großen Durchbruch als Schauspieler 1950 mit Rudolf Jugerts ES KOMMT EIN TAG. Leuwerik wurde 1952 zur Leinwandpartnerin von Borsche in der Komödie VATER BRAUCHT EINE FRAU. Der Film war so erfolgreich, dass die beiden entschieden, direkt im Anschluss ein weiteres Projekt gemeinsam zu realisieren: DIE GROSSE VERSUCHUNG (1952). Der Film basierte auf einem populären Fortsetzungsroman und überzeugte ebenfalls an den Kinokassen. Diese Erfolge machten sie zu einem der beliebtesten Leinwandpaare der 1950er Jahre.
Für Leuwerik stellte sich der Erfolg schnell ein. Allein 1953 waren vier Filme mit ihr in den Kinos zu sehen. SO war sie nicht nur in dem Melodram EIN HERZ SPIELT FALSCH neben O.W. Fischer zu bewundern, sondern war auch in der Komödie MUSS MAN SICH GLEICH SCHEIDEN LASSEN?, der Literaturverfilmung KÖNIGLICHE HOHEIT, wieder mit Dieter Borsche nach einem Roman von Thomas Mann und der Familiensaga GELIEBTES LEBEN zu sehen. Darin wurde die Entwicklung einer Frau über mehrere Dekaden erzählt.Diese Rolle brachte ihr gleichzeitig ein Filmband in Silber als Beste Hauptdarstellerin ein. Gleichzeitig wurde sie zu einer Art Stilikone und ihr Auftreten in Kostümfilmen zu einer Art Markenzeichen.
Ihrer Bühnenvergangenheit blieb sie treu, indem sie auch weiterhin Rollen in Filmen basierend auf bekannten Dramen übernahm. So spielte sie in der Fontane-Verfilmung von Effi Briest, ROSEN IM HERBST (1955), die Effi und die Hauptrolle in DOROTHEA ANGERMANN (1959) nach dem gleichnamigen Stück von Gerhart Hauptmann.
Mitte der 1950er Jahre schien ihre Karriere etwas abzufallen, doch die Popularität der Filme DIE TRAPP-FAMILIE (1956) und DIE TRAPP-FAMILIE IN AMERIKA (1958) von Wolfgang Liebeneiner brachte nochmals Schwung in ihre Karriere. Sie blieb Liebeneiner treu und drehte mit ihm das Kriegsgefangenendrama TAIGA, wo sie eine Ärztin in einem Kriegsgefangenenlager in Sibirien mimte. Mit solchen Rollen formte sie ihr Profil, was sie besonders bei weiblichen Kinobesuchern beliebt machte: eine unabhängige aber beruflich, erfolgreiche junge Frau, die ihre Ideen und Vorstellungen vom Leben zu realisieren versuchte. Ganz in diesem Geiste funktionierte auch ihre Rolle in der Komödie DIE IDEALE FRAU (1959).
Spätestens aber in den 1960er Jahren begann ihre Popularität zu schwinden. In LIEBLING DER GÖTTER (1960), ein Film über den UFA-Star Renate Müller, konnte sie zwar noch überzeugen, doch der Film selbst blieb an den Kinokassen hinter den Erwartungen zurück. Als der bekannte Regisseur Helmut Käutner sie mit DIE ROTE (1962) in die Kinos brachte, überezeugte das weder Publikum noch Kritik begeistern. Nach der nächsten Zusammenarbeit mit einem großen Namen, Heinz Rühmann, bei der Neuverfilmung von DAS HAUS IN MONTEVIDEO (1963) (in dem der Vater unserer Redakteurin Annette Gieseking eine Statistenrolle hatte), zog sie sich erst mal zurück. Sie trat des Öfteren nur noch in Fernsehproduktionen auf. So beispielsweise in Peter Wirths Mehrteiler DIE BUDDENBROOKS (1979), wo sie die Konsulin Betsy Buddenbrook spielte.
1978 wurde sie schließlich mit dem Filmband in Gold für ihr langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film geehrt. Besondere Ehre wurde ihr auch zuteil, als das Filmmuseum in Berlin 2004 anlässlich ihres 80. Geburtstags ihr eine große Werkschau unter dem Titel „Die ideale Frau – Ruth Leuwerik und das Kino der fünfziger Jahre“ widmete.
Bis zu ihrem Tod lebte sie zurückgezogen mit ihrem dritten Ehemann, dem Augenarzt Heinz Purper, in München, wo sie am gestrigen Dienstag verstarb.
Manuel Föhl