35 Millimeter vor Ort – Frühe Tonbilder im Kino 8 ½ Saarbrücken

Frühe Tonbilder im Kino 8 ½

Die Anfänge des Musik-Videos

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Stummfilme waren immer stumm und MTV hat das Musik-Video Zeitalter eingeläutet? In beiden Fällen lautet die Antwort: Nein! Den Beweis dafür zeigte das bereits mehrfach für seine Programmauswahl ausgezeichnete Saarbrücker „Kino 8 ½“ am 11.11.2014 mit dem PROJEKT FRÜHE TONBILDER des Deutschen Filminstituts Wiesbaden. Für dieses Projekt hat das DFI insgesamt 14 dieser frühen Tonbilder restauriert und digital aufgearbeitet. Dabei handelt es sich ausschließlich um 2-4 minütige Musikstücke aus Oper, Operette und verschiedenen Revue-Nummern.

Dass durch die nicht vorhandene Tonspur den Filmen eine wichtige Erzählebene fehlte, wurde den ersten Filmemachern schnell klar. So engagierte man etwa Filmerzähler, die während der Vorstellung Handlung und Dialoge erzählten. Oder es gab im Filmtheater ein Orchester oder einen Pianisten, die die Handlung entsprechend dramatisch, lustig oder romantisch untermalten und verstärkten. Beides hatte den Nachteil, dass man zusätzliches Personal benötigte. Aber bereits 1902/03 kamen die ersten Geräte in Einsatz, die es ermöglichten ohne größeren Aufwand kurze Tonbilder zu zeigen. Der Ton lieferten Tonwalzen oder Schelllackplatten, die Bilder wurden entsprechend der Tonvorlage inszeniert und gefilmt. Während es in Frankreich das Chronophone von Gaumont gab, war die führende Firma in Deutschland die Deutsche Bioscop aus Berlin, die 1912 die Babelsberger Filmstudios gründete. Das PROJEKT FRÜHE TONBILDER umfasst außerdem noch Aufnahmen aus den Archiven der Firmen Alfred Duskes und der Deutschen Mutoscop und Biograph GmbH.

Alle gezeigten Tonbilder haben eins gemeinsam, sie wollen ihr Publikum unterhalten und die breite Masse erreichen. Nicht jeder konnte sich zu dieser Zeit teure Theaterkarten leisten, das Radio lag noch zwei Jahrzehnte entfernt in der Zukunft, die einzige Möglichkeit Musik zu hören war entweder Live-Musik oder selbst Musik machen. Dank der Tonbilder konnte man sich nun die neuesten Gassenhauer und seine Lieblingsarien im Filmtheater ansehen. So wurde manchmal mit viel Liebe zum Detail – häufig jedoch wie am Fließband – ein Musik-Clip nach dem anderen abgedreht. Jede der Filmproduktionsfirmen hatte ihr Stammpersonal an Schauspielern und Schauspielerinnen, die versuchten so Lippensynchron wie möglich zur Tonaufnahme bekannter Sänger und Sängerinnen zu agieren. Auffällig war bei den gezeigten Filmen, dass sich das Revue-Theater dabei bedeutend besser zu verkaufen wusste. Während man bei den Opern-Arien meist starr oder mit dramatischem Over-Acting die Ernsthaftigkeit und Seriosität dieses Genres zu zeigen versuchte, nutzen die Akteure der Revuen die meist eindeutig zweideutigen Liedtexte als Filmhandlung.

Frühe Tonbilder für pdf

Die 14 Tonbilder, die an diesem Abend gezeigt wurden, waren:

LOHENGRIN – Wenn ich im Kampf für dich siege (Deutsche Bioscop – DE ca. 1908)

Das Paradebeispiel wie man heute nicht mehr inszenieren würde. Selbst Richard Wagner wäre nicht wirklich begeistert gewesen, wenn man bedenkt, wie er die Oper und deren Inszenierung revolutioniert hat. Die Statisten sitzen zum Teil deutlich gelangweilt und bewegungslos herum, die Hauptakteure bewegen bestenfalls ihre Köpfe von links nach rechts und die dramatisch, weit aufgerissenen Augen des Speerhalters auf der rechten Seite lassen den Zuschauer jeglichen Ernst für die Situation vergessen.

RIGOLETTO – O wie so trügerisch (Deutsche Bioscop – DE 1909)

„La donna è mobile“ von Guiseppe Verdi ist heutzutage – Tiefkühlpizza sei Dank – wohl eine der bekanntesten Opern-Arien. Hier gibt es die deutsche Fassung und der Schauspieler singt nicht nur Lippensynchron, er nutzt sogar Kulisse und Requisite.

DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR – Wie freu ich mich (Deutsche Bioscop – DE 1908)

Dies ist eines der besseren Stücke aus dem Klassik-Repertoire. Die beiden Darsteller zeigen eine richtige Handlung und unterstreichen durch Mimik und Gestik den Text des Stückes. Das Bühnenbild und die Kostüme sind sehr detailreich und optisch wirklich gelungen.

MARTHA – Mag der Himmel dir vergeben (Deutsche Bioscop – DE 1908)

Hier können die Kostüme und Statisten leider nicht wirklich viel retten. Man hat manchmal den Eindruck, dass die Darsteller nicht einmal einen Probelauf vorher hatten. Dafür ist das Tonmaterial wie bei allen anderen Tonbildern überraschend gut und das leichte Gramophon-Kratzen lässt es trotzdem authentisch wirken.

LUCIA VON LAMMERMOOR – Wer vermag’s den Zorn zu hemmen (Deutsche Bioscop – DE 1908)

Gaetano Donizettis Oper ist zurzeit auch im Saarländischen Staatstheater aufgeführt. Da es sich bei diesem Tonbild zum großen Teil um dieselben Darsteller der MARTHA Inszenierung handelt, würde ich persönlich die Staatstheater-Inszenierung bevorzugen. Es gibt zwar etwas mehr Schauspielerei zu sehen, diese artet aber leider schnell in dramatisches Over-Acting aus – Schade eigentlich.

DER TROUBADOUR – O mein Geliebter/Terzett. Nr. 71 (Deutsche Bioscop – DE 1909)

Guiseppe Verdi war der Hit-Lieferant seiner Zeit. Spätestens einen Tag nach der Uraufführung seiner Opern, sangen die Leute auf der Straße die Arien nach – so wird es jedenfalls behauptet. Kein Wunder also, dass besonders die Stücke von Verdi zu Tonbildern wurden. Allerdings hätte sich ein wenig weniger Ernsthaftigkeit auch bei diesem Beispiel von Vorteil erwiesen.

FAUST – O mein Geliebter/Soldatenchor. Nr. 79 (Deutsche Bioscop – DE 1909)

Man merkt, dass der 1. Weltkrieg fast vor der Tür steht, denn das Militär wird umjubelt und glorifiziert. Diese „Message“ wirkt heute eher verstörend, ist aber vor diesem historischen Hintergrund wohl als normal anzusehen. Es ist schließlich nicht das letzte Mal, dass man Filmkunst als Propaganda und zur Stärke der Moral gebraucht.

FLOTTENMARSCH (Deutsche Mutoskop und Biograph – DE 1908)

Es spielt auf zum Marsch die Kapelle des 2. Garde-Regiments zu Fuß unter der Leitung von Max Graf. In diesem Fall gab es statt Schauspieler und Schauspielerinnen ausnahmsweise die echten Orchester-Musiker zu sehen. Somit dürfte dieses Tonbild wohl eines der ersten „Live-Konzert Mitschnitte“ sein.

DIE REGIMENTSTOCHTER – Weiß nicht die Welt (Deutsche Mutoskop und Biograph – DE 1909)

Zur Musik von Donizetti gibt es wieder die deutsche Textfassung zu hören und anstelle von Studioaufnahmen wurde an einem sonnigen Tag im Freien gedreht. Die fesche Regimentstochter marschiert mit ihrer Trommel dem Regiment voraus und zur Belustigung des Publikums gibt es einen Zivilisten, der ständig versucht, sich zwischen den Soldaten zur Regimentstochter vorzuschleichen, um diese Küssen zu können.

DIE LUSTIGE WITWE – Die Grisetten oder Das Trippel-Trappel Lied (Produktionsfirma und Jahr unbekannt)

Franz Lehár ist neben Johann Strauss der wahrscheinlich bekannteste Operetten-Komponist und DIE LUSTIGE WITWE wohl sein bekanntestes Werk. Dieses Tonbild zeigt, wie man die 3:10 Minuten der Grisetten optimal nutzt. Die Tänzerinnen folgen einer einstudierten Choreografie und nutzen die gesamte Bildbreite dafür aus. Leider ist dieses Tonbild eines der vielen „Nitrat-Opfer“ und hat die einige optischen Schäden.

UNTERM PARAPLUI (Nr. 78) (Duskes – DE ca. 1908)

Dieses Stück ist aus einer der unzähligen Berliner Revuen und kann nicht mehr genau zugeordnet werden. Gezeigt wird eine Straßenszene, in der ein junger Mann eine junge Dame anspricht und dem geneigten Zuschauer vor Augen geführt wird, was so alles unter einem Regenschirm passieren kann. Zum Glück ist der Ehemann der jungen Dame zu Hause und weiß von nichts.

Die letzten 3 Stücke:

  • DER BUMMEL-COMPAGNON – Duett aus DAS MUSS MAN SEH’N! (Deutsche Bioscop – DE 1908)
  • ABENDS NACH NEUNE – Duett aus DURCHLAUCHT RADIESCHEN (Deutsche Bioscop – DE 1907)
  • ROLAND UND VIKTORIA – Duett aus NEUSTES! ALLERNEUSTES! (Deutsche Bioscop – DE 1907)

stammen alle aus der musikalischen Feder von Victor Hollaender, der viel für das Berliner Metropol Theater geschrieben hat. Die Lieder sind lustige Gassenhauer, wie es sich gehört eindeutig zweideutig oder zumindest mit einem zwinkernden Auge geschrieben und gelegentlich sogarin Berlinerisch. Während es bei ABENDS NACH NEUNE um die Gefahren für Landeier nach 9 Uhr in der Großstadt Berlin geht, kommen sich bei ROLAND UND VIKTORIA die beiden berühmten Statuen näher. Die Hauptdarsteller Anna Müller-Lincke und Leonhard Haskel gehörten zum Ensemble des Metropol Theaters und brachten so die beliebtesten Stücke aus den Revuen auf die große Leinwand.

Der unterhaltsame und sehr gelungene Abend im Kino 8 ½ (www.kinoachteinhalb.de) wurde mit einem leckeren Buffet mit Selbstgebackenem und verschiedenen Weinen perfekt abgerundet. Wir sind gespannt auf die nächsten Sonder-Vorstellungen in Saarbrücken.

Manuela Lay

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Fotos: Deutsches Filminstitut – DIF

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